22.04.12

Himmel hilf: hammer of the gods



Madonnas Tochter wurde mit 15 beim Rauchen erwischt, die Piratenpartei hat ein Problem mit einer Aussage über Aussagen zum Thema Rechte bei den Piraten und Astronomen wundern sich über die zwar theoretisch bewiesene, aber dann doch irgendwie verflixt nicht nachzuweisende dunkle Materie.

Letzteres Problem kann ich lösen: die gesamte dunkle Materie mindestens unseres Sonnensystems befindet sich in meiner direkten Nähe, also known as das konzentrierte Böse aus dem Weltall*: DIE NACHBARN. Eine Lektion in Langmut wird einem da erteilt, die manch tibetischen Mönch zum Kochen bringen würde.

Und ausgerechnet da fällt mir ein Bild aus Schottland vor die Maus. "In emergency break glass with hammer. To obtain hammer break glass." Danke, Universum. Das ist Zen in der Praxis und die perfekte Übersetzung des Daimoku ins Englische.

Die Piraten sollten sich freuen, dass ihre nicht vorhandene Struktur all die anderen Politikerdarsteller dazu zwingt, im 21. Jahrhundert anzukommen. Die bewirken schon was durch pure Existenz, die Piraten. Dass Madonnas Tochter mit 15 an Zigaretten nuckelt ist übrigens absolut beruhigend, weil normal. Was stünde dem Mädel nicht alles offen an Sünden, bei der Mutter (hier hab ich auch die Landfrauen aus Kreenheinstetten auf meiner Seite)...

*Das Sternchen verweist auf Hugleikur Dagsson, wer sucht, der findet das entsprechende Zitat.

19.04.12

Dog Eat Dog

The French eat frog and I eat you
Bon Scott (1946-1980)


Also im Juni. Das Ende von Gottschalk. Vorabends. Was für ein beschissener Begriff: Vorabend. Nachmittag, Abend, Nacht, Punkt.

Woran der von Trillionen geliebte Entertainer letztlich scheiterte -die Werbepausen, vermutlich- : egal. Frankenfeld und Kulenkampff wäre das nicht passiert, die hätten das einfach nicht gemacht. Nach dem Samstagabend gibt es kein Leben als Spaßmacher im Fännsii. Zwischen Slipeinlagen, Joghurt, Erdbeerschokolade, Knoblauch-pastillen, Autoglasversicherungen und dem WETTER (im Sinne von DARTH WETTER) wird jeder zerrieben wie ein Kinderpopel. Wahnsinnsgäste hin oder her (Hallo Senta! Hallo Anke!).

"Anzi, wie der Italiener sagt", wie ich immer sage.

Dieser Herr Gottschalk war in einer Sendung namens POP NACH ACHT tätig und waltete dort (nach 20 Uhr, der Titel der Sendung verrät viel) seines Amtes als launiger Plattenaufleger. Wie bereits oft an anderer Stelle geschrieben kam eines Abends die den Rockpalast kolportierende Ansage: "Bayern 3 proudly presents: AC/DC!" Und dann kam das Riff von WHOLE LOTTA ROSIE und mein Leben schwenkte links ab.

Was natürlich nicht dem Herrn Gottschalk, sondern den Brüdern Young und dem Herrn Scott geschuldet war und ist: "Tanks for making my life such a mess!"

Die meisten AC/DC-Fans von damals sind heute strunzlangweilige Häuslebesitzer, konservative Wähler, ab und an gar CSU-Politiker. Aber den Geist von damals haben die nie geatmet. Sonst wären die anders.

Der oben abgebildete Ausschnitt des Covers (könnte mich wieder mal meinen Kopf kosten... "Gott, wie polemisch", die Tucke. "Gleis drauf!", der Bahnarbeiter) zeigt übrigens Malcolm Young -der beste Rhythmusghitharrhist des uns bekannten Universums- bei der Arbeit und führt zum Werk.

Worauf das hier zielt? Ganz klar: der eine Mann zeigt dem anderen, was wichtig sein könnte. Sie wählen. Einer wird steinreich, der andere laboriert. Aber am Ende ist es wurscht. Der Reiche fliegt aus der eh schon peinlichen Werbetüte, der andere hat keinen Fernseher und denkt: "Der beste Song auf dem Album war sowieso DOG EAT DOG!"

16.04.12

Klau, lies und kotz


Zum Einstieg Max Goldt: "Diese Zeitung ist ein Organ der Nieder-tracht. Es ist falsch, sie zu lesen. Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel. Es wäre verfehlt, zu einem ihrer Redakteure freundlich oder auch nur höflich zu sein. Man muß so unfreundlich zu ihnen sein, wie es das Gesetz gerade noch zuläßt. Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun."
Der Krapfen auf dem Sims, Alexander Fest Verlag, Berlin 2001

Ältere werden sich eventuell noch an die Gebrüder Engel erinnern. Auf der LP Skandal gab es oben erwähnte Nummer (Link im Titel), die sich mit Deutschlands Lieblingshassblatt beschäftigt. Ich fand die Nummer damals blöderweise nicht ganz so gut, geprägt von angloamerikanischen Klängen war mir kleinem Blödmann die Muttersprache im Rockbereich immer ein wenig peinlich. Aber der Titel dieses Songs blieb stets präsent; an jeder Tankstelle kam er mir beim Bezahlen in den Sinn, wenn der Blick auf das schwarz-weiß-rote Rechteck fiel, das da in großen Lettern den Aufreger des Tages verkündet. Und Jahre später waren die Texte meiner Band auch deutsch, aber das ist eine gaaaaaaanz andere Geschichte. Wobei dabei im Hinterkopf vielleicht all das Zeug von Gebrüder Engel, Dr. Koch Ventilator, Nina Hagen Band (hach, die erste Platte: ein MUSS!) über Fee bis Breslau ihre Spuren hinterlassen hatten, wie gute Rockenrolloperetten das nun mal an sich haben. Und die Fehlfarben. Hansaplast. Die Zimmermänner. Zu spät dafür geboren, aber entdeckt: die Scherben. Ideal! Berlinberlinberlinberlin. Aber ich schweife ab, eine meiner stärksten Eigenschaften, wie ich nicht müde werde, zu betonen.

Jetzt gibt es eine unterstützenswerte Aktion von Campact. Wer obenstehende Grafik klickt, kann ein paar sinnvolle Zeilen loswerden -der vorgegebene Text ist frei erweiterbar- und sich eine unerwünschte Reklameaktion ersparen.

11.04.12

HENNEF [??|06|02]

Die mehr oder minder exquisiten Ergüsse bezüglich einer nicht-mehr-ganz-Karriere mit Stationen zwischen Crailsheim und Weißenhorn ersparen wir uns und schreiten direkt zum Altar. Ein Jahr durch die Provinz getingelt, um wieder am Anfang anzukommen, der Kreis schließt sich.

HENNEF [ein|jahr|später]

Gestern noch bei Gluthitze im Zelt zwanzig Kilometer von hier beste Stimmung. Und heute ein bedeckter Himmel, die Nationalmannschaft hat sich weitergekickt und alle sind irgendwie, man verzeihe den Ausdruck, undrauf. Ich begleite Ace zu den Kellies ans Hyatt, wo er sich ein paar Tipps bezüglich seiner neuen Karriere als Marathon-Mann holen will. Das Gespräch wird umlagert von einer wachsenden Zahl jugendlicher Fans, die mit Autogrammwünschen anstehen. "Das wäre definitv nichts für mich!", denke ich mir.
Später dann endlose Warterei. Beschissene, langweilige Warterei. Zeitvernichtung. Das Übels schlechthin in unserem Geschäft. Ich wünschte mir, ich hätte ein Laptop da, um arbeiten zu können. Endlich Soundcheck, Sarahs Halbplayback klappt bestens und die versammelte Technikercrew zieht anerkennende die Brauen nach oben. "Tolle Stimme!", so das einhellige Urteil.
Wieder Warten, eine Vorband nach der anderen erklimmt die Bühne, der Saal füllt sich nur schleppend. Die Veranstaltung gestern mit einem fast identischen Billing nur in Spuckweite von Hennef, hat sichtlich dem heutigen Zulauf geschadet. Es fehlt der Schwung, der gestern noch zu einem guten Konzert beitrug. Endlich kommt unsere Ansage, leider gibt es eine Verwechslung, denn statt den Rosen soll erst Sarah ihre Handvoll Songs zum ersten Mal vor Publikum ausprobieren. Tom rettet die peinliche Situation mit einer lockeren Moderation. Sarah und ich beziehen Position, das Playback fährt ab und unser kleines Vorprogramm rollt. Ein paar im Publikum verteilte Musikerpolizisten sehen mir akribisch genau auf die Finger, können's gar nicht glauben, was da für eine Soundwand aus dem spillerigen alten ESQ rollen soll. Ich kann den Scheiß locker mitspielen (ich hab den Scheiß geschrieben) und bin sowieso nur als Souffleur und mentale Stütze für Sarah mit auf den Brettern. Trotzdem der Entschluss, nie mehr eine instrumentale Playback-show zu spielen. Sarah besteht ihre Feuertaufe und erntet mehr als Höflichkeitsapplaus. Eine Zigarette später sind die Rosen on stage.
Die Setlist wurde geändert, es gibt einige alte, lange nicht mehr gespielte Titel zu hören. ALERT eröffnet die Show und beim zweiten Song, METAMORPHIC DREAMER, steige ich ein. Ab diesem Moment finden zwei getrennte Konzerte statt. Eines, wie es Band und Publikum erleben. Das andere in der Milanozone, der mit der Technik seines Oberheim kämpft. Aussetzer, Soundverschiebungen, Störtöne. Ich könnte kotzen. Nicht nur, dass ich der einzige Arsch bin, der nach der Show wieder auf die Bühne muss, um seinen Kram abzubauen, weil es keinen Rosentechniker gibt, der das für mich macht, nein, jetzt versagt auch noch genau der Kram seine Dienste. Dass dabei unten in der Menge zwei Kellies als unsere Ehrengäste wild headbangen, nutzte meiner Trauerstimmung nichts. Es wird zum Debakel und ich sage nach der Show zu Tino: "Das war mit großem Abstand die übelste Scheiße, die ich jemals abgeliefert habe."

Frustriert und müde sitze ich sechzehn Stunden später wieder am Bahnhof in Karlsruhe und denke über diesen kurzen Blitzkrieg nach: Vor genau 48 Stunden haben mich die Jungs hier aufgegabelt. Zwischen meiner Abfahrt in Freiburg und der Heimkehr liegen 60 Stunden. Bei Tom dürften es noch mehr sein. Ich habe etwa 17 Stunden auf Bahnhöfen, in Zügen und dem Van verbracht, insgesamt neun Stunden geschlafen, etwa eine Stunde Soundcheck gemacht und drei Stunden gespielt. Macht 30 Stunden reine Wartezeit. Plus, wenn man die einzelnen Anreisewege addiert, ein paar tausend Kilometer gefressene Strecke. Soll noch einer sagen, alte Säcke würden sich nicht anstrengen. Das war's mit den Rosen bis auf weiteres und wir wissen alle, dass da etwas ganz, ganz dringend geändert werden muss.

Monate später treffen wir uns in Ulm, der Gedanke eines neuen Albums sorgt für Euphorie. Wir wollen ein letztes Mal den Hammer schwingen und mit einem fetten Heavyrockalbum den Abschied nehmen. Dann sollte nahtlos die Arbeit an einem neuen Projekt beginnen: Mo'Sez Rain sollte uns all die Freiheiten garantieren, die bei CR durch die schwermetallhaltige Vergangenheit nicht denkbar waren. Für die Kuttenträger deshalb nochmals die Ramme, nicht um aufzugeben, sondern um erhobenen Hauptes abzutreten. "Seht Ihr, so macht man das!" Finanziert werden sollte das letzte Album durch eine Japanoption. Songs hatten Wuller und ich bereits genügend in der Tasche. Man müsste sich nur demnächst treffen und mit der Arbeit anfangen. Müsste...

Ein untätiges Jahr später ist allen Beteiligten klar, dass die Band wohl nicht mehr existiert. Schade, das. Nicht ein Song wurde ausgearbeitet und die Einträge der Neugierigen auf unserer Website werden spärlicher. Statt der erhofften und geplanten Detonation zum stolzen Abschluss, ist die Band dann doch einfach versickert.

10.04.12

HENNEF [09|06|01]

Aus der mir selbst erteilten Erlaubnis, alten Kram aus rein sentimentalen Gründen wieder auszupressen, folgt hier nach Vorfilm und Prolog der erste Bericht des Tourtagebuchs. Da scheint noch ein deutlicher Hoffnungsschimmer durch. Manche meiner Freunde haben übrigens die wiederkehrende Tendenz, mich in verächtlichem Tonfall als "Träumer" zu bezeichnen.

HENNEF [09|06|01]

Es gab vor diesem Live-Debüt genau zwei gemeinsame Proben und das reicht auch aus, wenn jeder seinen Scheiß kann. Live kommt eh immer alles anders und Du kannst Dich nur auf die eigene Erfahrung und die der bestens eingespielten Kollegen verlassen. Die bestens eingespielten Kollegen kenne ich jetzt schon seit einigen Jahren, habe ein paar Covers für die Band gestaltet, einen Clip mit ihnen gedreht und war immer wieder mal zu Gast hinter der Bühne. Im März kam dann das Thema Keys bei ChroRo auf den Tisch, im April ging’s gemeinsam ins Studio und das Feeling war so vertraut, als hätte ich seit Jahren nichts anderes gemacht. Familie eben.
    Dann unterwegs mit der Band. Mann, das letzte Konzert liegt beinahe fünf Jahre zurück. Zwischendurch gab’s viele Experimente und Studiokram. Aber nichts auf dieser Welt (in Worten: NICHTS AUF DIESER WELT!!!) kann die Bühne ersetzen. Du fängst Dir den Virus ein und dann musst Du sehen, wie Du damit klarkommst. Schwierig, als Rockenroller in Würde zu altern. Ich dachte ernsthaft schon dran, eine Bluesrockcombo zu gründen, bloß um mal wieder auf die Bretter zu kommen. Stattdessen stehe ich am 9. Juni auf der Bühne in Hennef und nach ein paar Takten Vorgabe von Tino steigen wir in METAMORPHIC DREAMER ein, unser Opener und eh meine Lieblingsnummer vom PRESSURE-Album. Es ist genau wie’s sein soll: Fünf Jahre Pause sind in zwei Sekunden einfach gelöscht!
    Ein par Stunden zuvor saß ich noch zusammen mit Tom, Tino und Iris in ihrem Bus, der uns und ein bisschen Backline Richtung Köln dieselte. Wir plauderten angeregt über die Band, Science-Fiction und den weniger wichtigen Rest der Welt. Hinter uns zog Marc in seinem Volvo stur mit Tempo 120 eine Schneise für uns, quasi als nachfolgendes Pacecar. Mit stoischer Ruhe setzte er seinen Metallhaufen regelmäßig auf die linke Spur, ließ uns vor sich ausscheren und irgendwelche überladenen Sattelschlepper mit abgefahrenen Pneus und übermüdeten Truckern überholen.
    Es gab STEREO MCs, PANTERA und eine leckere Selbstgebrannte mit alten Vinylaufnahmen von HUGHES & THRALL, FISHBONE und MOJO NIXON. Bei der Bitte, dass Tom doch zu „Man Of Constant Sorrow“ vom O BROTHER WHERE ART THOU-Soundtrack die Akkorde raussuchen soll, war dann das Ende der musikalischen Bandbreite erreicht. Trotzdem noch harmlos im Vergleich zur Geduldsprobe, der ich die Mitfahrenden bei der Heimreise unterzog: NILS PETTER MOLVAER im Nieselregen hat denselben Charme wie APOCALYPTICA an tristen Novembernachmittagen. Tz, diese jungen Leute kennen an "alten" Bands echt nur SKID ROW. Seltsam, als neuer Mann der älteste zu sein.
    Hennef war leicht zu finden, der Veranstaltungsort beinahe auch und dann kamen wir in den Genuss einer perfekt organisierten Veranstaltung. Die Jungs von JAM-Productions betreuen ihre Acts wirklich vorzüglich. Beim Aufbau, quasi als kleine Erfrischung, gab es unaufgefordert ein freundlichst serviertes Kölsch. Oder muss man in Hennef "Alt" zum Dünnbier sagen? Anderswo leierst Du dem Veranstalter kurz vor der Show gerade mal zwei lausige Getränkegutscheine aus dem Kreuz. Die Kausalkette "'G'scheites Catering als Grundlage für gute Stimmung der Mucker als Grundlage für eine gute Show derselben als Grundlage für zufriedene Besucher als Grundlage für entsprechenden Umsatz dieser" scheint nicht überall in der Musikszene wissenschaftlich anerkannt zu sein.
    Trotz g'scheitem Catering (und seit einem Tag nix gefressen) brachte ich keinen Bissen runter, teile ich doch mit Harry eine seltsame Eigenschaft, und zwar die Fähigkeit zur Lampenfieberzeitreise. Diese famose Begabung versetzt uns binnen Sekunden in ein Land lang vor unserer Zeit. Wir riechen den scharfen Dunst einer großen Raubkatze oder hören das dumpfe Wummern einer Mammutherde. Die Folgen sind im Jahr 2001 eher unbrauchbar: Satte Adrenalinausschüttung an der Grenze zur Überdosis, stark erhöhte Muskeldurchblutung, Fortpflanzugsorgane ziehen sich in die Bauchhöhle zurück und es drängt der Körper, zwecks schnellerem Laufen, zu sofortiger Entleerung der Därme. Du bist jetzt zum Kampf auf Leben und Tod bereit. Oder zur Flucht gewappnet, stundenlang laufen ohne zu ermüden. Blöderweise musst Du aber einfach stehen bleiben, möglichst lächelnd und ohne einem der Umstehenden das Hirn wegzupompfen. Das ist das exakte Gegenteil von dem, was Dein Körper jetzt braucht und führt spätestens 20 Minuten vor Showtime dazu, in eine Art Duldungsstarre zu fallen. Das ist dann okayer, jedenfalls wesentlich besser als Durchfall. Denn, so wie ein Vögelchen beim Start schnell noch kackt, müssen viele der Rocker vor'm ersten Takt (hey, fast ein Jambus) noch schnell ein paar Runden über die lokale Backstageschüssel. Du bist dann irgendwann wirklich leer geschissen und trotzdem rotieren die Därme bis zum Brechreiz. Das schreit nach Betäubung. Achtung, Bundesdrogenbeauftragte, hier sehe ich Handlungs-bedarf!
    Schnitt. Mitten in der Show stellt mich Tom auf freundlichste Art und Weise als "member number five" dem Publikum vor, ich werde herzlich empfangen und bei der nächsten Nummer kackt mein Monitor ab. Die Mächte warten eben immer den besten Moment ab. Dank Marc ist ruckzuck ein Toner da, es dauert zwei weitere Songs bis statt hässlich verzerrtem Rauschen wieder Musik aus der Box kommt. Mit 17 wäre ich gestorben vor Angst. So gieße ich mir in aller Ruhe einen Schluck Chianti ein aus dem von Iris speziell für mich und diesen Tag gebauten Bühnenkoffer, begrüße meinen Kölner Freund Selim neben der Bühne und freue mich einfach, da zu sein, während onstage GGM und andere Brecher abgeliefert werden.
    Überhaupt, der Koffer. Custom made for Milano bietet er Platz für eine Flasche Wein, einen Öffner, ein langstieliges Rotweinglas, einen Kerzenständer und zwei Kerzen. Gerade recht, um die Konzerte zu zelebrieren. Maier Wuller, einem Geschlecht von Hufschmieden entstammend (das wird an dieser Stelle noch oft zu lesen sein, habe ich mir vorgenommen) und selten um einen Kommentar verlegen, ließ sich bei seinem Anblick ob Idee und Ausführung zu stummen Standing Ovations hinreißen. Ace konnte es ebenfalls kaum glauben (She did that? I mean she built it? For you? Wow!) und musste Iris in der Folge umarmen. Ob er a) nicht fassen konnte, dass eine Frau sowas kann oder b) zweifelte, ob ich den Aufwand wert sei, bleibt sein Geheimnis. Handarbeit wird jedenfalls anerkannt beim fahrenden Volk und die erkennen schließlich ihren Scheiß, wenn sie was Amtliches sehen. Hab ich schon das Wort "Familie" erwähnt?
    So ging dieser zauberhafte Tag im Ferienlager friedlich zu Ende und irgendwann hab ich mir dann die Flöte in die Muschi gesteckt. Nein, Quatsch, wollte nur sehen, ob ihr noch aufmerksam seid.
    Minuten später ist der Monitor also wieder im Lack, und ich merke, dass es schweinegute Laune macht, mit den Jungs auf der Bühne zu stehen. Ich meine, ich hab sie hundertmal von unten gesehen (kein zotiger Witz an der Stelle), stand hinter der Bühne oder daneben, hab sie gefilmt und sonstwie verwurstelt. Aber jetzt, mitten im Getümmel, der Gedanke: ich mag die Band, die gefallen mir! Auch hier sind die Mächte sofort zur Stelle und servieren mir den prächtigsten Verspieler seit Erfindung der Zwölftonmusik.
    "Kummer Dich gefälligst um's Rocken und lass den sentimentalen Scheiß für später!"
    "Okay."
    Das Konzert wogt vorbei, die Keyboarderrolle bietet viel Möglichkeit, die Leute zu beobachten. Es sind nur Nuancen, die ein gutes von einem mittelprächtigen Konzert unterscheiden. Auch wenn es heute meine erste Show ist, weiß ich, das hier gehört zu den guten. Auffallend ist, dass die Jungs noch nicht gewohnt sind, auf der Bühne zu fünft zu sein. Ich werde jedenfalls sehr selten hinter meinen Tasten besucht und beschließe, mir für ein par Songs in Zukunft eine Gitarre umzuschnallen. Bloß, um nicht so alleine zu sein. Wir spielen als letzten Song im regulären Set HURTS. Die Leute kennen die Nummer noch nicht, gehen aber trotzdem gut mit. Am Schluss übernehmen sie den Chor und wir gehen einer nach dem anderen von der Bühne. Das Publikum singt noch kurz weiter, bevor die ersten Rufe nach Zugabe kommen.
    Man könnte Traktate und Doktorarbeiten schreiben über die Zeit, die man optimalerweise verstreichen lässt, bevor man zurückkehrt auf die Bretter. Eine halbe Zigarette? Fünf Minuten? Zu schnell wirkt kindisch spielgeil und zaubert der anwesenden Musikerpolizei -vulgo: Kollegen- ein fieses Grinsen auf die Backen. Zu lange wirkt asozial abgehoben.    Hier das perfekte Rezept vom besten schlechten Keyboarder der Welt: zünde eine Zigarette Deiner Wahl an und versuche in aller Ruhe die doppelt vorhandenen Buchstaben in den Begriffen "Erektile Dysfunktion" und "Lysergsäurediäthylamid" zu zählen. Ich war beim "e" als Wuller wieder in HURTS einsetzte. Giarristen halt! Immer zu früh kommen, aber das zehnmal in einer Nacht.
    Rauf auf die Bühne und zurück in HURTS mit Vollgas. Klappt auf Anhieb. Kompliment auch an die Audience; die konnten sogar die Tonart halten! Ich hatte schon mit Sängern (?) zu tun, die das weder im Studio noch auf der Bühne schafften. STAY und sein infernalisch lauter Einspieler beenden eine Viertelstunde später das Konzert. Ein freundliches Winken, Verbeugung, runter von der Bühne, Abbau, Umbau, Zeit für die nächste Band, Backstage entern, gieriges Rauchen und Trinken und Plappern, hektische Zustandsberichte und Zoten. Irgendwann wird's ruhiger und irgendwann wird's klarer und es fühlt sich gut an und ich weiß, Nummer 5 lebt und dann, endlich, kann ich ans Essen denken.