31.05.12

BABIERLE UFFHEBBE!

Right, right. Doobidoob. A bit tired, maybe, everybody is. Best not to say more. Bedways is rightways now, so we best go homeways. Right?
Dim (Anthony Burgess, A Clockwork Orange, Norton Library, 1962)


Moderator: "Du warst doch auch irgendwie auf der Schule, erzähl doch mal... war da alles noch schwarzweiß?"
 
86 Jahre nach Gründung der Schule, die nach König Karl von Württemberg benannt wurde, hatte ich das Vergnügen. Frau Hoch hieß die erste Lehrerin; sanft war sie und riesengroß, fuhr einen 2CV, auf dem der Kleber prangte: "Fahr net auf mein heilix Blechle!"

Später gab es Unterricht beim Rektor, Herr Braun war wohl sein Name -doch die Erinnering ist ein trügerischer Tümpel- und er bescherte mir eine bis zum Abitur anhaltende Rechenphobie. Herrn Brauns didaktische Vorgehensweise war, Schüler aufstehen zu lassen, um vor der Klasse Rechenaufgaben zu lösen. An die Aufgabe erinnere ich mich nicht mehr, aber an die Angst, da vor allen stehend einen Fehler zu machen. Konnte sehr streng sein, bei falschen Antworten, der Herr Rektor. Also schwieg ich (schlotternd) und der Zorn des Pädagogen kam trotzdem über mich.

Es gab auch einen Lehrer, dessen Name mir ums Verrecken nicht mehr einfallen will. Ihm beliebte, schwatzhafte Naturen durch einen Wurf seines Schlüsselbundes in die Alltag der Schule zurück zu holen. Der war ziemlich jung damals, was der wohl heute macht?

Frau Mattes schließlich war für die 4. Klassen zuständig und eine überall gefürchtete Erscheinung. Ich vermute, selbst der Lehrkörper senkte in ihrer Anwesenheit den Blick. Sie hielt zum Glück große Stücke auf mich, und bis auf das eine Experiment, als ich -die Zunge vor Anspannung im Mundwinkel blitzend- versuchte, die beiden Enden meines Plastiklineals durch Biegen einander nahe zu bringen... nunja, mit einem der Detonation einer Stabhandgranate nicht unähnlichen Knall verabschiedete sich das Messwerkzeug zur Überraschung wirklich aller Anwesenden schlagartig und trug mir hundert Mal "Ich soll im Unterricht nicht mit meinem Lineal spielen!" ein.

Den Hausmeister nannten wir in Verunstaltung seines Familiennamens Winnetou, lachten über sein rotes Gesicht und fürchteten ihn doch wie den Schwarzen Mann: er sah alles und erwischte jeden. Plötzlich konnte dieser massige Mann sich aus dem Nichts materialisieren, dich bei etwas erwischen -vermutlich war die schiere Anwesenheit eines Kindes auf SEINEM Schulhof schon Grund genug für olympischen Zorn- und sein gefürchtetes Verdikt brüllen, immer gleich und für jedermann in gefühlten 100 Kilometer Umkreis hörbar: "BABIERLE UFFHEBBE!"*

Frau Eisen schleppte zur großen Pause täglich ihren Karren von der nahen Bäckerei auf den Schulhof und wir aßen Brezeln, wie sie heute nirgendwo mehr gemacht werden.  Schlimm, wenn einer da das Urteil Winnetous zu hören bekam. Blieb kaum Zeit, die paar Papierfetzen zu sammeln und in den Mülleimer zu werfen, bevor die Pausenglocke wieder alle in Zweierreihen antanzen und ins Zimmer trotten ließ.

Die Kumpels hießen Frank und Thomas und Peter und Feizi. Feizi war der einzig türkische Junge an der Schule. Er schenkte mir selbstgezeichnete Bilder, die oft die Großtaten Atatürks darstellten. Ich beneidete ihn um all die Panzer und Gewehre auf den karierten Blättern. Deutsche Soldaten zu zeichnen war tabu, der Großvater durfte nicht vom Krieg erzählen.

Die Innenstadt war voll hässlicher, krummer Häuser, ein paar Höfe von ehemaligen Stadtbauern, Handwerker, Gewerbe, ein winziges Kino, kleine Geschäfte; bei Lorenz Müller konnte man jede Schraube, jeden Winkel, jedes Metallteil der Welt kaufen; einer der Männer -in blauem Arbeitsmantel versteht sich- verschwand in den Tiefen des Lagers und tauchte Minuten später mit dem benötigten Beschlag wieder auf. "Siebzig Pfennig", oder ähnliches stand dann auf der handgeschriebenen Quittung.


Nun war anlässlich einer Familienfeier ein Gang durch die Stadt unumgänglich. Auch heute ist die Innenstadt fast immer noch voll hässlicher, krummer Häuser. Die Handwerker sind weg, die Handyläden sind da. Das Kino ist schon ewig geschlossen, die Spielsalons erobern die Innenstadt. Wo aber einmal die Schaufenster abgeklebt sind mit der vermeintlich stilvollen Verheißung großer, schneller Kohle in nuttig geschwungenen Lettern, da kommt nie mehr ein anständiger Laden in die Nachbarschaft.

An der oben erwähnten Schule sprechen viele Kinder in der ersten Klasse nur rudimentär deutsch. Denn von den 10% Bevölkerung mit ausländischem Familienhintergrund im Kreis leben wiederum gute 90% in der Kernstadt und den angrenzenden Vierteln. Die ehemaligen Innenstädter wohnen längst außerhalb, sitzen sich fett in miefigen Reihenhäusern gegenseitig auf den Nerven, oder haben -ein reiches Städtchen, darf man nie vergessen- beeindruckende Trutzburgen in teurer Randlage erstellt. Der Einkauf alltäglicher Verbrauchsgüter findet im Gewerbegebiet statt, zum Bummeln fährt man in benachbarte Kreisstädte. Weil es ja "daheim wirklich nix gibt, was für ein Kaff, nicht mal eine simple Jeans kriegst du da!", et cetera, ad nauseam.

Dass vor nicht allzulanger Zeit vor meiner oben vorgestellten Schule ein älterer Herr auf dem Nachhausweg von seinem Stammtisch -Luftlinie Lokal-Wohnung unter 700 Meter- von einer Gruppe junger Männer verprügelt wurde, ist nicht schlimmer Einzelfall, sondern Mainstream: Clockwork Orange ist in der Provinz angekommen.


Eine zusehends verrohende Gesellschaft, freiwillig verblödet, gläubige Jünger von Castingshows, dumpfer Billigunterhaltung und dem stets billigsten Ausweg, die sich zudem über Jahrzehnte scheute, nötige Diskussionen zu führen; wegsah, statt zu reagieren, erntet jetzt eine bittere Erkenntnis: ob dich da deutsche, albanische, russische, türkische, libanesische oder weiß-der-Herr-was für Tritte treffen... zu spät, um Verständnis heuchelnd die World-Music-CD von Putumayo zu zücken.

Moderator: "Danke, Spike, und jetzt zum Wetter!"

*für sprachlich Unterbegabte: "Papierchen auflesen!"


29.05.12

Junge Mädchen und Franzosen

HEYHOLET'SGO!
THE RAMONES

Während in Oban eine Möwe (immer noch nicht Jonathan) auf die Ebbe defäkierte,


und in der Rosslyn-Kapelle nur in deutscher Sprache die Höflichkeit fehlte,


wiewohl vor Dieben und Gesocks verschrumpelt einheimisch gewarnt wurde,


lagen die Ramones GABBAGABBAHEY friedlich in Rom auf dem Nachttisch.


Den Kalauer mit der Nachtischschlampe ersparen wir uns natürlich und gehen direkt zum Thema:

Es gibt junge Mädchen, die wollen sich in einen Franzosen verlieben, wenn sie ein halbes Jahr in Paris studieren, einen Italiener, wenn sie nach Vernazza trampen oder einen jungen Engländer, wenn sie alleine mit dem Rad durch den New Forest reisen.

Sie wollen sich in diesen jungen Mann verlieben, wie wollen mit ihm schlafen und tiefgründige Erlebnisse fürs Leben mitnehmen. Im Bewusstsein, im unumstösslichen Bewusstsein, dass dieser junge Mann niemals der Eine sein kann.

Dann fahren sie nach Hause und sind traurig über die zerbrochene Liebe, denn das kann nicht funktionieren, von da nach hier. Oft ist ja auch die Sprache das Problem und der Alltag bügelte doch sowieso jede Leidenschaft weg.

Also besser diesen süßen Schmerz genießen und dann Ausschau halten nach einem, der passt.

Männer sind Schweine.

21.05.12

Hentai Virus :-!

Wie ich mich heute fühle
Und wie ich wirklich ausseh 

Almost heaven, West-Virgähh... krummer Himmel über Schottland
Mittwoch bis Sonntag elend: bisschen Fieber, bisschen Schüttelfrost, starke Gliederschmerzen. Nachts kein Schlaf, nur schwitzendes Dösen. Gedankenamok ab der dritten Nacht. Versuche, mit Bier oder Whisky in den Schlaf zu gleiten, gehen früh fehl, weil beides widerlich und weggeschüttet. Das mir!

Endlich dann Sonntag von 7 bis 11 Uhr geschlafen. Ein neuer Mensch erhebt sich! Die Sonne scheint, das Leben lacht. 16 Stunden später wieder bereit, die beschissene Dreckswohnung in Trümmer zu legen. Stattdessen MARNIE angesehen, war das alles putzig 1964… Prompt von morgens 5 bis 10 vor 9 geschnorchelt wie ein Baby. Ziemlich schmerzfrei durch den Tag heut. Kein Fieber mehr, aber schwach. Draußen hämisch feucht grinsende Schwüle. "Zum Händler flugs, her mit dem Obst, der matte Körper braucht die Kraft!

Weil die Wortkombination "Kleinwagen (alt)" und "Wegfahrsperre" in manchen Aggregatzuständen des Lebens frei übersetzt "Himmel-
hurenfotzenarschfickverschissenes Stück Technik, fahr zur Hölle
und brenne!" bedeutet, den Einkauf dann fünf Kilometer durch die schwängernde Luftbrühe nach Hause getragen.

Trail of Tears (an anderen Tagen ein beliebter Spaziergang) überlebt, obwohl seit fünf Tagen so gut wie nix gegessen. Aber eh nur auf der faulen Haut gelegen... Apropos: unglaublich, wie gelb und blau und widerlich so ein Leib aussieht, wenn er einfach mal fünf Tage nicht bewegt wird. Das da unten am Ende der Beine können nicht die eigenen Füße sein.

Dann noch den Hof gekehrt, ein paar Pläne besprochen, geholfen ein paar Maße aufzunehmen, dem einem Freund eine Nachricht ausge-
händigt, einem anderen die Farben der Website korrigiert, nicht den Piraten beigetreten, immer noch nichts gegessen; aber was für eine wunderbar manische Stimmung so ein Futter- und Schlafentzug doch schafft.  Kraft fehlt, aber die Energie: Hallöchen, Popöchen!

Alte Grals-Schrauben hinter Rosslyn Chapel für Dan-Brown-Fans.
Natürlich war ich der Meinung, Kunde einer profanen Sommergrippe zu sein. Dann kamen kundige Köpfe auf den Gedanken "Hantavirus!"; und so warte ich auf Blutungen und Nierenversagen, was ich mir momentan sowas von dermaßen nicht leisten könnte, dass ich morgen mal zum Arzt gehen werde.
Den reißerischen Titel (ärmliches Wortspiel mit eben o.a. Erreger) verwende ich übrigens lediglich, um bleiche, wachshäutige, übergewichtige Testosterontodeskandidaten auf mein Splog zu ziehen; es gilt, diesen Monat die Million zu sprengen.

09.05.12

Der kleinen Königin ihr Bruder sein Foto

Okay, Schatz, aber dann schlafen... der Prinz kommt später, ja.
Vabn Rater


Es war einmal vor langer Zeit, in einem Land, nicht weit entfernt. Da lebte eine kleine Königen namens Arschlochbaby. Wir nennen sie lieber kleine Königin.

Eines Tages ritt die kleine Königin auf ihrem Einhorn Pümpel durch ihr kleines Königreich. Von einer Grenze zur anderen. Und wieder zurück. Und zur nächsten Grenze und wieder zurück.


Und zur ersten Grenze.

Und wieder zurück.

Irgendwann sagte Pümpel, der/die/das wie alle Einhörner natürlich sprechen konnte: "Ich hab dermaßen Kohldampf, wenn ich nicht bald was zu beißen kriege, kotz ich Regenbogen!"

Daraufhin lenkte die kleine Königin flugs die Schritte ihres Einhorns zum Kleinen-Königreich-Königlichen-Imbiss.

"Hallo!", sagte Jamal, der Koch.

"Hallo!", sagte Rümpel.

"Hallo!", sagte Arrrrrschlllläääh… die kleine Königin.

"Was darf es sein?", fragte Jamal.

"Hunger hab ich", sagte Tümpel, "großen!"


"Ich auch!", rief die kleine Königin.

"Nichts leichter als das!", rief Jamal und tischte auf.

Und die kleine Königin und Wümpel stopften sich voll mit Essen und Essen und Essen, bis sie nicht mehr konnten.

Leider war es zu viel und sie starben unter schrecklichen Schmerzen einen grausamen Tod.


Gute Nacht, Schatz, schlaf schön!

Ich sollte keine Märchen erzählen. Müssen. Idee gestohlen von Tom Waits. Der sie stahl von den Gebrüdern Grimm. Die sie stahlen vom Prekariat anno zwetschgenneunzig. Creative Commons my ass, würde eine Flachsspinnerin gesagt haben, so man sie gefragt haben würde. Hätte man mal besser. Dann wären all die Mythen gesicherte Einnahemequellen und die Griechen hätten nicht dieses Theater am Hals. Abgrundtiefe Bewunderung für deren Widerstand. Dank Fefe auch einen Link zum passenden Gesichtsausdruck.

08.05.12

8. Mai? Besen raus!

I'm gonna get up in the morning, I'll believe I'll dust my broom
Robert Johnson



Der heutige Tag hat es in sich. Geschichtlich. Natürlich denkt man in Deutschland beim 8. Mai an die Befreiung vom Nationalsozialismus, respektive spricht vom verlorenen Krieg. Je nachdem, wes Geistes Kind. Davon wird tagsüber das übliche, gedankenschwere Brauenrunzeln zu hören und zu lesen sein.

Aber ein kurzer Blick ins Tagebuch...

2010 saß oben abgebildete Möwe auf einem schottischen Geländer. Oban liegt in den schottischen West-Highlands, hat eine sehr okaye (Pardon, was für ein Wortkotzbrocken) Distillery und wer hier lebt, kennt alle Möwen innert eines Monats beim Vornamen. Keine heißt Jonathan.



1838 fordern die demokratischen Sozialisten in Großbritannien zum ersten Mal das allgemeine und geheime Wahlrecht. Für Männer über 21, versteht sich.

1945 freuen sich 10.000 Menschen in Algerien über den gewonnenen Krieg, veranstalten eine Demonstration -auch zur Unabhängigkeit Algeriens- und werden zusammengeschossen. Ohne Beteiligung der Wehrmacht, quelle surprise.

1973 ergeben sich die Indianer des American Indian Movement nach über zwei Monaten Besetzung von Wounded Knee den Regierungstruppen. Und ziehen sich in ihre Spielcasinos zurück.

1988 reckt Herr Engholm sein Haupt als designierter Ministerpräsident in Schleswig-Holstein. Sein Vorgänger Herr Barschel erlag knapp sieben Monate zuvor der Kollision mit einer Genfer Badewanne.

Im selben Jahr wird Herr Mitterand Generaldirektorpräsident von Frankreich. "Fuck Chirac" war noch Jahrzehnte später an einem Brückenpfeiler nahe der Meuse zu lesen. Ob Herr Hollande das gesprüht hatte?

1886 verkauft John Pemberton erstmals sein Allheilmittel gegen Kopfschmerz und Trägheit. Wir nennen es heute Coca Cola.

1954 das erste "Wort zum Sonntag", 1970 die letzte Platte der BEATLES: Let It Be.

Aber das allerallerwichtigtigste passierte vor 99 Jahren: Robert Johnson kam zur Welt. Und wer jetzt nicht "Wow!" sagt, hat nie Blues, Jazz oder Rock und Punk gehört. Ohne den hätte man auch Son House oder Skip James vergessen. Und Muddy Waters wäre nie passiert. Oder Chuck Berry. Und die Rolling Stones. Und die Beatles. Led Zeppelin. Pink Floyd. Sex Pistols. AC/DC. Nirvana. White Stripes. Wire. Television. Radiohead. Et cetera, ad nauseam.

Also lassen wir mal den kleinen Postkartenmaler und seine Apokalypse und all die Schuld und den Horror beiseite und hören unschuldig und hören froh und hören erstmals und immer und immer wieder "Dust My Broom".

Das ist Medizin.

07.05.12

Don't fear the reaper

40.000 men and women everyday (redefine happiness)
Buck Dharma


Der Song geht mir seit Wochen durch den Kopf. Ich mag die Version von HEAVEN 17, sind ja auch alte Helden, die fast nix falsch gemacht haben. Aber daran kann es nicht liegen. Ist vielleicht einfach ein gutes Lied, oder die Apokalypse naht.

Sarkozy geht also, Kubicki triumphiert (was immer das bedeutet), Apple hat zunehmende Sicherheitsprobleme, beherrscht aber dafür quasi den mobilen Internetzugriff. Business as usual, die Welt ändert sich. Draußen den zweiten Abend im Mai wild wabernde Nebelbänke durchs Tal. Schade, dass Hammer keine Draculafilme mehr dreht, meine Wohnung wäre DIE Location momentan.

Hier ein paar Eindrücke vom letzten g'scheiten Hochwasser...

 
Zufahrt zum Haus bei schönem Wetter.

 
Zufahrt zum Haus bei schlechtem Wetter.

 
Dieser kleine See ist eine Wiese beim Fußballplatz.

 
Die schmale Brücke aus rotem Sandstein ist auf diesem Bild leider nicht zu sehen.

So lebt jeder in anderen Verhältnissen. Der Herr Kubicki kuckt gern Kriegsfilme, der Herr Sarkozy hat vermutlich schlechte Laune momentan. Von seiner lieben Carla würde ich lieber schweigen wollen. Jetzt ist er ja kein Rockstar mehr. Mal kucken, wie lange das noch hält... so unter uns Groupies. Da fällt mir eben auf, wie nahe Groupie und Croupier sich sind. Die Chips werden ausgehändigt, mal sehen, was der andere damit macht. Macht? Die Sozialisten sind in Frankreich wieder am Start und draußen keimt ein wunderbarer Montagmorgen.

Es könnte deutlich schlimmer sein, es könnte regnen.


05.05.12

Juvenile Delinquents

NON VITAE, SED SCHOLAE DISCIMUS
Lucius Annaeus Seneca


Katzen sind blöd. Zeigt man mit dem Finger irgendwohin, sieht der Hund in die Richtung. Die Katze schaut auf den Finger. Und sie stinken. Wenn man das Heim von Katzenliebhabern betritt, riecht man die Felidenkloake schon vor der Tür. Katzen sind zudem zutiefst asoziale Wesen. Und sie zwingen mich zum Weinen. Und Schniefen und Rotzen.

Sollte ich jemals den Kerl erwischen, der vor Jahren den Kater unseres unschuldigen Engelchens verschleppt hat, dann lass ich ihn seinen eigenen Schwanz fressen. Den Entführer, versteht sich. Die eingekerbte Kugel liegt bereit, um es in süditalienisch zu sagen; seelischer Schmerz wird vergolten mit Blut.

Vielleicht pappte das Tier aber auch einfach im Radkasten eines LKW.

Kann man mal sehen, wie einen so ein Schulfest aufrührt. Wenn man die ganzen übelriechenden, picklig-klebrigen Adoleszenten sieht, die gestern noch in der Windel hingen und morgen diese Welt flicken sollen. Da keimen Gedanken an die eigene, golden schimmernde Schulzeit. Wie man wohl aussah neben den Riesen Bernhard und Sigmund? Waren die Schulschönheiten wirklich kleine, dicke Mädchen? Und unsere steinalten Lehrer… waren die auch nur zwischen Mitte dreißig und Mitte vierzig?

Vermutlich immer ist da ein Rumpler, der einem Böses will und einer, der zu viel speichelt und zu wenig versteht. Es gibt den Frühreifen, den Spätstarter, das Mauerblümchen und den Holzkopf. Freundschaften fürs Leben werden geschlossen und enden meist nach dem Abitur.

Weise zu werden wie Seneca erfordert eine gewisse Grundintelligenz, abgetragen an einer entsprechenden Lebensspanne voller Wonne, Schmerzen, Zweifel, Lieben, Hoffnung und Enttäuschung. Davon sind diese Würmchen beim Schulfest vermeintlich weit entfernt.

Doch der Kater wird leidenschaftlich vermisst.

04.05.12

Noch einer

 
Also auch MCA. Die Helden sterben weg. Was hatten wir Spaß!

Ich erinnere mich an einen lauen Sommerabend vor fünfhundertdreiundsechzig Jahren und vier Monaten, als ich der Band, der ich damals angehören wollte/sollte, ein Mixtape meiner musikalischen Favoriten präsentierte. Einfach, um klar zu machen, woher ich komme, was ich will, was mich beeinflusst hat.

AC/DC haben sie damals locker weggesteckt, klar. Motörhead belächelt als Dilettanten. Frank Sinatra und alten Tom Waits jovial abgenickt. Edith Piaf war schwer, aber ging. Beethoven via Brendel hatte ich mir gespart. Peter & seine Test Tube Babies waren grenzwertig. The Damned ("Love Song", großes Kino!): Schweigen. Und dann kamen die Beastie Boys. You gotta fight for your right to party. Mit diesem Nichtsolo von Kerry King.

Internationale Koryphäen der plastischen Chirurgie waren nötig, meinen zukünftigen Mitmusikanten die Augenbrauen wieder vom Hinterkopf Richtung Gesicht zu verpflanzen. Das war nahezu unverständlich: primitivstes Riff, prolliger Sprechgesang (der Begriff "Rap" war durchaus noch fremd), stumpfer Drumcomputer und irgendwann Geräusche, die ein Solo sein sollten. Gefühlte Jahrhunderte vor Tom Morello.

Wir wurden natürlich trotzdem eine Band, spielten brav brave Musik, lösten uns auf, gründeten eine neue Band, spielten mehr brave Musik, lösten uns auf, gründeten wieder eine neue Band und nur meinem egomanischen Genie ist es zu verdanken, dass wir heute alle als fette, faltige Multimilliardäre sämtliche Strandvillen der Welt (in Zahlen: DER WELT) besitzen.

Danke, Adam Yauch.

SETUP

Now I'm robbing.
Curtis James Jackson III in SETUP


Und das ist der schlechtesteste Film aller Zeiten der Welt des Universums. Er verkackt die Geschichte eines vermeintlich zornigen Mannes.

Was haben sich Bruce Willis und Ryan Dings (der-irgendwie-überall-auftaucht-Ryan) dabei bloß gedacht? Herr 50 Cent ist ja dank seiner Physiognomie ein Sympathieträger. So auf die Art wie das früher vielleicht der eine seltsame Junge auf dem Schulhof  war, den nicht mal die Schläger ärgern wollten, weil er zu weit draußen war. Mag sein, dass der gar nicht kapiert hat, was für ein Granatenrotz das wird. Ryan Dings marionettet sich durch die gefühlten 360 Minuten des Films (ich hab dann ab 45 Minuten gespult) und Herr Willis ist eine Persiflage von Herrn Willis. O-Ton hilft auch nicht. Mehr Worte zu verlieren wäre Eulen in Athen vergiftet.

Zu den wichtigen Dingen: Zorn ist eine gute Eigenschaft. Man kann damit hantieren. Zorn befähigt einen, Dinge zu tun, die man wütend vermasseln würde. Der angegammelte Begriff "Wutbürger" ist übrigens geschmäcklerisch und gaukelt dem Leser missmutige Rentner und Bessergestellte vor, wo doch eher gebildete Menschen ihrem Ärger auf respektable Art Luft verschaffen. Zorn verleiht Kraft und eine glasklare Einsicht in das Wesen der Situation: Zorn verlangsamt die Zeit und man tut das Richtige.

Es hilft also, zornig zu sein. Wütende Menschen sind wie Oliver Hardy, irgendwie lustig. Zornige Menschen sind ernst.








03.05.12

Midnight in Paris



Peinlich genug mit dieser Verspätung (aber better late than never): das ist der besteste Film aller Zeiten der Welt des Universums. Punkt. 

Das kann sich natürlich morgen ändern, INK hatte auch so eine unglaubliche Wirkung, ich bin da promisk.

Aber was Herr Allen hier abgeliefert hat, hat den Autor dieser Zeilen tief getroffen. Der Mann ist ein Genie. Er holt uns da ab, wo wir gerade sind und macht uns innerhalb von zehn, zwanzig Minuten leichtfüßigen Films klar, wo wir sein wollen. Paris als Ort ist dabei nur als Metapher zu verstehen. Und die Zwanziger als Zeit dergleichen.

Müßig, die Geschichte nachzuerzählen... wer nur je einen Hauch von Literatur und Malerei abgekriegt, fühlt sich hier sofort zuhause. Und wird von Herrn Allen nach einer Stunde und drölfzehn Minuten an der Nase gepackt: die goldenen Zeiten sind stets die alten. Die Hauptfigur träumt von den Zwanzigern, die Dame aus den Zwanzigern von der Belle Époque und die Herren von damals denken an die Renaissance beim Stichwort "Güldene Zeiten".

Owen Wilson als tragender Figur mag ein Teil der Nichtbeachtung geschuldet sein. Zieht der sich nicht immer Fleischbrocken an der Zahnseide vorm Spiegel aus dem Mund? Hier jedenfalls passt das wie ein perfektes Gesäß auf einen handelsüblichen Haushaltseimer. Nicht die Zahnseide. Der Wilson. Ein gutmütiger Narr, der an der Seite seiner Zukünftigen -und deren Eltern- durch ein ferngesteuertes Leben stolpert und immer noch daran glaubt, seiner Berufung gerecht zu werden.

Es ist schon eine tragikomische Verwicklung, das Leben. Wie konnte dieser Film nur an mir vorbei streifen? Natürlich deshalb, werden manche murmeln, weil ich wie die Hauptfigur immer neben dem echten Leben her funktioniere. Und währen sie murmeln hat sich das  "weil ich wie die Hauptfigur immer neben dem echten Leben her funktioniere" schon in ihrem Hirn festgesetzt. Und die Brauen heben sich und wir denken alle nach: eigentlich bin ich ganz anders, nur ich komme so selten dazu.

Das hat ein anderer kluger Mann gesagt. Wer jetzt ohne Google zu nutzen die Antwort weiß, muss ein Raucher sein, der diese Blättchen kauft an deren Innenseite vom Deckel immer diese Weisheiten abgedruckt stehen. Auf dem abgebildeten Päckchen beispielsweise: Das Glück ist ein Mosaikbild, das aus lauter unscheinbaren kleinen Freuden zusammengesetzt ist. Daniel Spitzer

Leider war mir dieser Herr Spitzer bis dato nicht bekannt, trotz humanistischer Bildung  plus Popliteratur. Mea maxima culpa. Gilt es auch, wenn man stattdessen den Herrn Dan Spitz kennt? Von der Thrashmetalband zum Uhrmacher... goldene Zeiten!